Für die meisten Menschen ist Mobilität oder Verkehr kein Selbstzweck. Was die meisten Menschen wollen, ist, schnell und bequem von ihrem Zuhause zur Arbeit, zum Einkaufen und ins Kino zu kommen. Welches Verkehrsmittel sie dafür wählen, hängt davon ab, wie lange man braucht und wie teuer das Reisen ist. Mobilität ist damit ein abgeleitetes Bedürfnis: es dient dazu, andere Wünsche zu erfüllen. Das mag offensichtlich erscheinen; es ist aber wichtig zu verstehen, wenn wir über Verkehr und die dazugehörige Infrastruktur diskutieren. Das Ziel einer guten Verkehrspolitik sollte nicht sein, möglichst vielen Menschen möglichst viel Verkehr zu ermöglichen; stattdessen muss es darum gehen, möglichst viele Menschen auf sichere, effiziente und klimaverträgliche Weise an ihre Ziele zu bringen. Das Fahrrad kann dabei eine wichtige Rolle spielen – wenn die richtige Radverkehrsinfrastruktur da ist.

Dabei hat Verkehr Auswirkungen auf unbeteiligte Dritte – zum Beispiel der Verkehrslärm an Hauptverkehrsstraßen, der die Anwohner*innen belastet und krank machen kann, Abgase und Feinstaub, die alle Stadtbewohner*innen belasten, usw. Verschiedene Verkehrsträger haben unterschiedliche Auswirkungen. Das Recht jeder einzelnen Person auf individuelle Mobilität muss daher abgewogen werden gegen die Bedürfnisse der Allgemeinheit auf Schutz vor Belastung und Krankheit.

Frankfurt am Main

Frankfurt am Main steht − wie viele Metropolen in Deutschland, Europa und der Welt – vor der großen Herausforderung, diese Verkehrswende zu organisieren und aktiv zu gestalten. Derzeit wächst Frankfurt um ca. 10.000 Einwohner*innen pro Jahr, hinzu kommen ca. 355.000 Einpendler*innen – und das jeden Tag. Der Verkehr in Frankfurt wird also in den nächsten Jahren zunehmen, und damit muss die Stadt – müssen wir als engagierte Bürger*innen – umgehen. All diese Menschen, die nach Frankfurt ziehen oder unsere Stadt jeden Tag besuchen, wollen auch bequem und schnell zur Arbeit, zum Einkaufen und ins Kino kommen. Momentan findet der überwiegende Teil des Verkehrs in Frankfurt mit dem KFZ, genauer gesagt mit dem privaten Auto, statt: 61% der zurückgelegten Personenkilometer entfallen auf den Autoverkehr.  Das liegt an einer autofokussierten Verkehrspolitik der vergangenen Jahrzehnte, die entsprechende Infrastruktur (z.B. Autobahnen, breite Hauptverkehrsstraßen, Parkplätze und -häuser sowie Tiefgaragen) gebaut hat und damit für die Frankfurter*innen starke Anreize für die Autonutzung geschaffen hat.

Wir vom Radentscheid glauben, dass das nicht so weiter gehen kann. Genauer gesagt, sind wir der festen Überzeugung, dass in Zukunft dem Radverkehr eine wesentlich größere Bedeutung in Frankfurt zukommen sollte. Dabei darf man aber nie vergessen, dass der Fußverkehr und auch die öffentlichen Verkehrsmittel, und auch der Autoverkehr (auf ein verträgliches Maß reduziert) weiterhin Mobilität ermöglichen sollen. Das Fahrrad ist aber in Großstädten ein sehr gut geeignetes Verkehrsmittel, da es allen Bürger*innen flexibel und schnell Mobilität ermöglicht, dabei aber gleichzeitig nur geringe negative Auswirkungen auf Anwohner*innen und andere Frankfurter*innen hat.

Ein typischer Radweg in Frankfurt, hier auf der Kurt-Schumacher-Straße.

Das Fahrrad ist schnell: auf Wegen bis ca. 5 km ist es häufig das schnellste Verkehrsmittel (im Vergleich zu Fuß, ÖPNV & Auto). Das Fahrrad ist wesentlich günstiger im Unterhalt als ein Auto oder auch eine ÖPNV-Zeitkarte; Autos können leicht mehrere hundert Euro im Monat für Treibstoff, Versicherung und Reparaturen kosten, eine Monatskarte für den ÖPNV in Frankfurt kostet derzeit 89,10 €. Das Fahrrad ist gleichzeitig sehr gesund: zahlreiche Studien belegen die positiven Effekte von Radfahren auf die Gesundheit.

Gleichzeit verursacht das Fahrrad keine Emissionen: kein CO2, kein Feinstaub, keine NOX. Es verursacht keinen Lärm. Es verbraucht wesentlich weniger Platz auf der Straße, sowohl während der Fahrt als auch im Stillstand. Und Fahrradinfrastruktur ist wesentlich günstiger im Bau und Unterhalt: eine Studie der Universität Kassel hat beispielsweise ergeben, dass die Stadt Kassel pro Quadratmeter KFZ-Spur 9,9€ pro Jahr ausgibt, pro Quadratmeter Fahrradweg aber nur 4,5€.

Wir vom Radentscheid glauben also, dass es sich lohnt, in gute und sichere Radinfrastruktur in Frankfurt zu investieren. Davon profitieren alle Frankfurter*innen: die, die jetzt schon Radfahren, die, die es dann vielleicht auch mal ausprobieren und auch die, die sich weiterhin mit Bus und Bahn oder mit dem Auto fortbewegen.

Der Radentscheid in Aktion, beim offiziellen Beginn der Unterschriftensammlung.

Doch wie sieht nun gute Radverkehrsinfrastruktur aus? Aus unserer Sicht gibt es dafür drei Kriterien, die alle erfüllt sein müssen. Radwege müssen sicher, attraktiv und durchgehend sein:

1. Sichere Radwege

Oberste Priorität muss die Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer, nicht nur der Radfahrer*innen sein. Nur wenn sich die Menschen auf der Straße sicher fühlen, werden sie das Radfahren auch ausprobieren. Außerdem müssen wir Unfälle um jeden Preis vermeiden. Unfälle können auch durch menschliche Fehler passieren, aber eine gute Infrastruktur kann viel dazu beitragen, Unfälle zu vermeiden oder zumindest die Folgen abzumildern.

Sichere Infrastruktur bedeutet für uns vor allem: baulich getrennt. Um Konflikte zwischen Radfahrer*innen und Autofahrer*innen zu vermeiden, ist es am besten, die beiden Verkehrsströme zu trennen. So können sich auch Menschen, die sich auf dem Rad (noch) nicht so sicher fühlen, ohne Probleme auf dem Radweg fahren, und Autofahrer*innen müssen keine waghalsigen Überholmanöver durchführen. Diese bauliche Trennung kann auf verschiedene Weisen erfolgen, der jeweiligen Situation angemessen. Auf Straßen mit nur geringem KFZ-Aufkommen und einer geringen Geschwindigkeit ist auch Mischverkehr denkbar – hier ist das Konfliktpotenzial generell geringer, und diese Straßen sind auch meistens weniger breit, sodass ein eigener Radfahrstreifen schwieriger in den Straßenquerschnitt einzufügen ist.

Baulicher getrennter Radweg in Kopenhagen (Dänemark), mit Abstützbalken für angenehmes Warten.

Aber auch darüber hinaus gibt es Möglichkeiten, Radwege sicher zu gestalten. Zentral ist dabei die Sichtbarkeit des Radweges und der Radfahrer*innen. Eine durchgehende farbliche Markierung des Radweges, um diesen deutlich von der Fahrspur für Autos abzusetzen, ist dafür ein Beispiel. Eigene Aufstellflächen für Radfahrer*innen an Kreuzungen vor den wartenden Autos erhöhen auch die Sichtbarkeit; eigene Fahrradampeln, die etwas früher auf Grün schalten und so den Radler*innen schon vor den Autos die Einfahrt in die Kreuzung ermöglichen, helfen, typische Rechtsabbiegeunfälle zu vermeiden.

Farbiger Radweg in Kopenhagen (Dänemark), um die Sichtbarkeit auf der Kreuzung zu erhöhen.

2. Attraktive Radwege

Radverkehr unterscheidet sich von Autoverkehr in vielen Aspekten, vor allem aber in der Tatsache, dass verschiedene Radfahrer*innen unterschiedlich schnell fahren: regelmäßige Fahrradpendler*innen schaffen durchgehend 30 km/h, während Gelegenheitsradler*innen, Menschen mit Lastenrädern oder Kinder eher zwischen 10 und 15 km/h fahren. Das führt zu Konflikten, wenn ein Radweg nicht die Möglichkeit zum Überholen bietet.

Deshalb setzen wir uns für breite Radwege ein, auf denen man bequem nebeneinander fahren kann, und auf denen man auch bequem andere Radfahrer*innen überholen kann.

Breiter (und baulich getrennter) Radweg in Arnhem, Niederlande.

Außerdem sollen Radwege in einem generellen guten baulichen Zustand sein. Schlaglöcher oder Bodenwellen sind Unfallrisiken und auch einfach nicht angenehm beim Fahren. Radfahren muss aber so angenehm wie möglich werden; wir wollen schließlich auch Gelegenheitsradler*innen öfter aufs Rad bringen und auch Menschen das Radeln ermöglichen, die es bisher noch nicht ausprobiert haben. Und deshalb muss Rad fahren Spaß machen!

3. Durchgehende Radwege

Radfahren ist dann am angenehmsten, wenn vom Start bis zum Ziel ein durchgehender und qualitativ hochwertiger Radweg vorhanden ist. Wenn die Frankfurter*innen sich darauf verlassen können, dass, egal wo sie hinradeln, sie dort gute Radwege vorfinden, dann werden sie auch aufs Rad steigen. Durchgehende Radwege erhöhen auch die Sicherheit; gerade Situationen, wo ein Radweg abrupt aufhört und sich die Radler*innen plötzlich in den Autoverkehr einsortieren müssen, sind sehr gefährlich.

Der Radweg auf der Ignatz-Bubis-Brücke hört plötzlich auf, was zu Konflikten mit dem motorisierten Verkehr führt.

Dafür setzt sich der Radentscheid Frankfurt ein: sichere, attraktive und durchgehende Radinfrastruktur in ganz Frankfurt, für alle Frankfurter*innen: ob zu Fuß, mit dem Fahrrad oder mit dem Auto unterwegs, ob auf dem Weg ins Büro oder auf die Baustelle oder zum Einkaufen. Wir wollen, dass in Frankfurt das Fahrrad ein gleichberechtigtes Verkehrsmittel ist, und dafür muss die Stadt kräftig in den Radverkehr investieren. Wir wollen niemandem etwas verbieten – wir wollen nicht Straßen für den Autoverkehr sperren, sondern wir wollen, dass alle Menschen die Möglichkeit haben, Rad zu fahren, ohne Angst und Unsicherheit.

Ein typischer schlechter Radweg in Frankfurt, hier auf der Hanauer Landstraße. Durch parkende Autos blockiert (und somit mit hoher Gefahr für sog. „Dooring“-Unfälle), sehr schmal und auf dem Bürgersteig geführt, was zu Konflikten mit Fußgängern führt.

Im August 2018 hatten wir in Frankfurt vier tödliche Unfälle mit Radfahrer*innen. 2017 wurden 93 Radfahrende in Frankfurt schwer verletzt.  Das zeigt, dass die Infrastruktur in Frankfurt verbessert werden muss. Gerade im Angesicht des aktuellen Urteils zu Fahrverboten für Dieselfahrzeuge glauben wir, dass eine Investition in Radinfrastruktur ein viel besserer Weg ist, die Luftqualität in Frankfurt dauerhaft zu verbessern. Fahrverbote verursachen großen Aufwand in der Verwaltung und lösen die grundsätzliche Frage nicht: Wie wollen wir unsere Mobilität in Zukunft organisieren? Deshalb braucht Frankfurt den Radentscheid.

Alexander Breit ist Stadtplaner und Vertrauensperson des Radentscheid Frankfurt

Das Team des Radentscheids bei der Übergabe der Unterschriften an das Wahlamt.

Literaturverzeichnis