Liebe FDP Frankfurt,

vor kurzem haben Sie ein durch Ihre Mitgliederversammlung beschlossenes umfassendes Mobilitätskonzept für Frankfurt vorgelegt.[1] Wir freuen uns darüber, dass die FDP versucht, die verschiedenen Verkehrsarten zusammenzudenken und eine für die Stadt und die Metropolregion integrierte Mobilitätsplanung voranzubringen. Das ist in unseren Augen genau der richtige Ansatz. Auch wenn wir uns mit unseren Forderungen auf den Radverkehr fokussieren, so finden wir auch, dass insbesondere der ÖPNV und der Fußverkehr darüber nicht benachteiligt werden dürfen. Und auch der Autoverkehr kann weiterhin seinen Platz in der Stadt haben.

Sie schreiben: „Mobil zu sein ist aber darüber hinaus auch Voraussetzung für Urbanität und soziale Teilhabe.“ Mit dieser Forderung stimmen wir vollkommen überein. Unsere Kernforderung – sichere, baulich getrennte Radwege auf Hauptverkehrsstraßen [2] – zielt genau darauf: allen Menschen die Nutzung des Fahrrads zu ermöglichen. Mobilität ist ein Grundbedürfnis, und Stadtgesellschaft und Politik müssen sicherstellen, dass es erfüllt wird.

Auch wenn wir also grundsätzlich mit Ihnen übereinstimmen, so müssen wir doch auch Kritik üben. Der Radentscheid Frankfurt teilt ihre Ansichten in vielen Belangen nicht.

Radentscheid Frankfurt, das Team bei der Übergabe von 40.000 Unterschriften für bessere Radinfrastruktur

Straßengestaltung ist nie neutral: Trauen Sie sich, zu bevorzugen!

In Ihrer Präambel schreiben Sie:
„Ein selbstbestimmtes Leben bedeutet aber auch eine freie Wahl der Verkehrsmittel. Wir Freien Demokraten wollen daher kein Verkehrsmittel diskriminieren, sondern treten ein für eine gleichberechtigtes Nebeneinander aller Verkehrsmittel und Wahlfreiheit ihrer Nutzer. Ein gegenseitiges Ausspielen von ÖPNV, PKW gegen Rad- und Fußverkehr lehnen wir ab.“

Wir glauben, dass dieser Ansatz grundlegend falsch ist. Eine neutrale Verkehrsplanung ist unmöglich. Die Straßengestaltung bevorzugt immer gewisse Verkehrsmittel. In der Verkehrsplanung der letzten Jahrzehnte war das bevorzugte Verkehrsmittel eben immer das Auto; für andere Verkehrsmittel wurden dann die Restflächen verteilt.

Sie wollen als FDP eine „freie Wahl“ für die Frankfurter*innen. Wir sagen Ihnen: trauen Sie sich, den Umweltverbund zu bevorzugen! Wir befürchten, dass der Versuch einer „neutralen“ Verkehrsplanung wieder zu einer Bevorzugung des Autos führt. Ausgehend von aktuellen Ausbauzuständen (vorteilhaft für Autos), aktuellen Verkehrszahlen (Autoverkehr in der klaren Mehrheit, da die entsprechende Infrastruktur vorhanden ist), sowie dem Platzverbrauch verschiedener Verkehrsmittel (Autoverkehr verbraucht mit Abstand am meisten Platz pro Person [3]) könnte man schnell zu dem Schluss kommen, dass auch bei einer „neutralen“ Gestaltung dem Auto am meisten Platz zugewiesen werden muss.

Jede Straßengestaltung befördert und behindert gewisse Verkehrsmittel. Sie als Kommunalpolitik sollten sich trauen, jene Verkehrsmittel zu fördern, die der gesamten Stadtgesellschaft Vorteile bringen: saubere Luft, weniger Lärm, mehr Platz für Grünflächen, weniger und leichtere Unfälle, geringere CO2-Emissionen. Und das ist eben: der Umweltverbund – also Fuß, Fahrrad, ÖPNV. Trauen Sie sich, eine Vision zu entwickeln! Für den Radverkehr sind wir Ihnen gerne behilflich. [4]

Beachten Sie, dass es uns nicht darum geht, ein Verkehrsmittel zu verbieten – auch der Autoverkehr hat weiterhin seine Daseinsberechtigung. Aber durch bauliche Gestaltung (zum Beispiel geschwindigkeitsreduzierende Maßnahmen für den motorisierten Individualverkehr (MIV) in Nebenstraßen, baulich getrennte Radwege, breite Bürgersteige auf Hauptverkehrsstraßen und Busspuren) muss deutlich gemacht werden, welche Verkehrsmittel bevorzugt werden.

Nutzungskonflikt – der Radweg wurde auf die Restfläche verbannt, auf der Eckenheimer Landstraße

Benennen Sie Nutzungskonflikte klar und beziehen Sie Stellung!

Sie bekennen sich zu Multimodalität, wollen aber gleichzeitig, „dass die Haupteinfallstraßen in die Stadt (Mainzer Landstraße, Hanauer Landstraße, Darmstädter Landstraße, Mörfelder usw.) für den MIV voll nutzbar bleiben.“ Das wird schlicht nicht möglich sein – jede Straße bietet nur begrenzt Platz. Insbesondere widerspricht diese Forderung Ihrer weiter unten folgenden Forderung für den Radverkehr: „Alle Magistralen und Ringe sollten einen markierten separaten Radweg bekommen.  Da wo dies baulich nicht möglich ist, müssen andere Maßnahmen getroffen werden, um die Radfahrer zu schützen.“ Die aktuelle Römer-Koalition aus CDU, SPD und Grünen verfolgte in ihrem Koalitionsvertrag für die Berliner Straße den gleichen Ansatz. Dort heißt es: „Die Berliner Straße bleibt vierspurig, erhält aber einen Radweg in jeder Richtung.“ [5] Das Ergebnis dieses Kompromisses ist, dass die Berliner Straße weitgehend unverändert geblieben ist, jedenfalls keine ausreichende Radverkehrsinfrastruktur aufweist – weiter für den Autoverkehr nutzbar, für den Radverkehr eine Katastrophe.

Sie schlagen vor, an einigen vierspuren Hauptverkehrsstraßen eine Spur für den Autoverkehr zu entfernen und die verbleibenden drei Spuren über Ampeln so zu regeln, dass jeweils in die Richtung mit mehr Verkehr zwei Spuren zur Verfügung stehen und in die Gegenrichtung eine. Solange die dabei geschaffenen Radwege unseren geforderten Standards (bauliche Trennung, entsprechende Breite, etc.) entsprechen, freuen wir uns auch über solche Lösungen. Die praktische Umsetzbarkeit muss selbstverständlich durch die Verwaltung geprüft werden.

Neue Radinfrastruktur an der Eschersheimer Landstraße. Neu gebaut und vollkommen unzureichend.

Erkennen Sie den Stand der Technik für sichere Radwege an! Werden Sie konkreter!

Außerdem widersprechen wir vehement ihrer Forderung nach markierten Radwegen. Eine Markierungslösung an Hauptverkehrsstraßen ist aus unserer Sicht nicht ausreichend – eine bauliche Trennung ist notwendig, um die Sicherheit für Radfahrer*innen zu gewährleisten. [6] Nur wo zwingende Gründe dagegensprechen, kann auf eine bauliche Trennung verzichtet werden.

Sie fordern eine „echte“ Fahrradstraße parallel zur Zeil, zwischen Hauptwache und Konstablerwache. Die Töngesgasse ist bereits als Fahrradstraße ausgewiesen, aber derzeit aufgrund der vielen Parkplätze, der für Radverkehr ungeeigneten Bodenbeläge und des hohen KFZ-Aufkommens unbenutzbar. Aus unserer Sicht müssen echte Fahrradstraßen für den KFZ-Durchgangsverkehr konsequent gesperrt sein. Wir freuen uns, wenn Sie sich dafür einsetzen.

Grundsätzlich sind Fahrradstraßen aber kein Ersatz für sichere und baulich getrennte Radwege auf Hauptverkehrsstraßen. Sie fordern beispielsweise auch die Einrichtung einer Fahrradstraße auf dem Kettenhofweg, parallel zur Bockenheimer Landstraße. Das würde die Stadt nicht davon entbinden, auch auf der Bockenheimer Landstraße einen baulich getrennten Radweg einzurichten. Solche Parallelführungen wurden in vergangenen Diskussionen häufig von verschiedenen Parteien gewünscht. Sie sind aus unserer Sicht aber nur dann akzeptabel, wenn beide Straßen sicher umgestaltet werden. Hauptstraßen werden gerade von ortsunkundigen und nicht regelmäßig Radfahrenden intuitiv genutzt, da sie als große Verkehrsachsen die wichtigen Verbindungen markieren. Gerade für diese Nutzer*innen muss sichere Radinfrastruktur vorhanden sein. Auch Vielradler*innen nutzen die Hauptstraßen, weil sie meistens einfach die schnellsten und am besten zu erreichenden Strecken darstellen. Wir wünschen von Ihnen als FDP daher eine klare Positionierung dagegen, Haupt- und Nebenstraßen in der sicheren Umgestaltung gegeneinander auszuspielen.

Die klare Definition, was „sichere“ Radinfrastruktur im Zusammenhang mit Hauptstraßen, Nebenstraßen und Kreuzungen konkret bedeuten kann, haben wir in unserem Blog sowie auch in der Einigung mit dem Magistrat bereits dargelegt. [7] Wir würden uns freuen, wenn die FDP ihre Vorstellungen, was sichere Infrastruktur konkret bedeutet, genauer beschreiben würde, damit wir darüber in die Diskussion kommen können.

Radentscheid in Aktion: auf dem Römer demonstrieren Frankfurter*innen für bessere Radwege

Fazit

Auch wenn wir nicht mit allem übereinstimmen, freuen wir uns, dass Sie sich über ein integriertes Verkehrskonzept für Frankfurt Gedanken machen. Wir haben unsere Einigung mit dem Magistrat verkündet, aber noch ist sie nicht beschlossen; und wir wollen uns als Radentscheid auch zukünftig produktiv in die Diskussionen um die Frankfurter Mobilität der Zukunft einbringen. Wir hoffen, dass wir mit Ihnen als FDP (sowie mit allen anderen interessierten Parteien) in einen fruchtbaren Dialog treten können. Wir freuen uns auf die kritischen Diskussionen!

Mit freundlichen Grüßen
der Radentscheid Frankfurt


[1] https://fdp-frankfurt.de/beschluss/mobilitaet-in-frankfurt/

[2] https://www.radentscheid-frankfurt.de/2019/07/bauliche-trennung-warum-farbe-keine-infrastruktur-ist/

[3] https://www.zukunft-mobilitaet.net/78246/analyse/flaechenbedarf-pkw-fahrrad-bus-strassenbahn-stadtbahn-fussgaenger-metro-bremsverzoegerung-vergleich/

[4] Ein Beispiel für eine solche Vision ist zum Beispiel die Umgestaltung des Alleenrings: https://www.radentscheid-frankfurt.de/2018/11/strassen-als-lebensraum-zukunftsvisionen-fuer-frankfurt-01/ & https://www.radentscheid-frankfurt.de/2018/11/strassen-als-lebensraum-zukunftsvisionen-fuer-frankfurt-02/

[5] Im Koalitionsvertrag zu finden auf S. 15, Zeile 544.

[6] https://www.radentscheid-frankfurt.de/2019/07/bauliche-trennung-warum-farbe-keine-infrastruktur-ist/

[7] https://www.stvv.frankfurt.de/PARLISLINK/DDW?W=DOK_NAME=%27NR_895_2019%27