Liebe Vertreter:innen der Industrie- und Handelskammer Frankfurt, liebe Vertreter:innen der Handwerkskammer Frankfurt,

vor wenigen Monaten haben wir unsere Einigung mit der Stadt Frankfurt verkündet, in der für die nächsten Jahr umfangreiche Maßnahmen für den Radverkehr in unserer Stadt geplant sind. Sie haben sich in der Vergangenheit auch schon skeptisch über den Radverkehr geäußert; auch auf die Einigung haben Sie beide mit kritischen Pressemeldungen reagiert. Sie fordern ein integriertes Verkehrskonzept, das alle Verkehrsmittel berücksichtigt – damit stimmen wir vollkommen überein. Wir haben in unseren Forderungen immer betont, dass die Förderung des Radverkehrs nicht zulasten des ÖPNV oder des Fußverkehrs gehen darf. Wir setzen uns für den Radverkehr ein, verlieren dabei aber keineswegs die anderen Verkehrsmittel aus den Augen.

Die Debatte hat seit der Einigung auch nicht an Schärfe verloren: vor kurzem erst berichtete z.B. die Bild-Zeitung über verärgerte Handwerker:innen. Das große Problem sind laut Ihrem Bekunden insbesondere die mangelnden Parkmöglichkeiten. Bisher konnte uns als Radentscheid aber noch niemand erklären, warum die Schuld an mangelnden Parkplätzen nun denjenigen gegeben wird, die sich dafür einsetzen, dass weniger Menschen Auto fahren (müssen)! Radverkehr und Wirtschaft profitieren voneinander.

Eckenheimer Landstraße – so geht es nicht!

Wir möchten uns gerne mit Ihren Positionen ausführlich auseinandersetzen, weil wir glauben, dass hier ein grundsätzliches Missverständnis vorliegt. Radverkehr und Wirtschaftsverkehr gehören zusammen. Sie als Vertreter:innen der Wirtschaft in Frankfurt haben ein berechtigtes Interesse daran, dem Wirtschaftsverkehr freie Bahn zu machen – und wir glauben, dass die Radverkehrsförderung hier eine wichtige Rolle spielen kann und muss.

Der Präsident der IHK Frankfurt, Ulrich Caspar, wird zitiert mit: „Im Blick auf seine Bedeutung für die Mobilitäterfordernisse der Stadt und der Region und insbesondere ihrer Wirtschaft sollte der Radverkehr aber mit Augenmaß entwickelt werden. Dass Hauptverkehrsachsen in ihrer Leistungsfähigkeit jetzt massiv beschnitten werden, ist für die Erreichbarkeit von Unternehmen bedenklich.“ Dieser Einschätzung möchten wir gerne entschieden und begründet widersprechen.

Es ist der Autoverkehr, der mit Augenmaß behandelt werden muss – in den letzten Jahrzehnten wurde er nämlich über alle Verhältnismäßigkeit bevorzugt, und darunter leiden nun alle Frankfurter:innen, auch die Gewerbetreibenden: Lärm, Abgase, fehlende Lebensqualität, Stau. Darüber hinaus können die Wirtschaft und das Handwerk massiv vom Ausbau der Radverkehrsinfrastruktur profitieren, wie zahlreiche Beispiele in anderen Städten zeigen.

Positives Beispiel aus New York City

Mythos 1: Weniger Autospuren bedeuten mehr Stau.

Wir glauben, dass ein fundamentales Missverständnis vorliegt. Hauptverkehrsachsen werden durch den Ausbau des Radverkehrs in ihrer Leistungsfähigkeit keineswegs beschnitten! Eine Flächenumverteilung von Auto- zum Radverkehr erhöht die Leistungsfähigkeit, gemessen in Menschen, die die Strecke nutzen können. Ein aktuelles Beispiel aus London: nach der Einrichtung von baulich getrennten Radwegen erhöhte sich die Zahl der Menschen, die Blackfriars Bridge (Stadtzentrum) nutzen, um 5%. Natürlich müssen Büros, Läden und Werkstätten weiterhin erreichbar sein. Wenn Sie unsere Forderungen sowie die Einigung mit der Stadt lesen, werden Sie auch feststellen, dass wir nirgendwo fordern, Straßen für den Autoverkehr ganz zu sperren. Wir fordern eine Umverteilung der Fläche, hin zu flächeneffizienten und umweltfreundlichen Fortbewegungsarten. Das Fahrrad ist im Vergleich zum Auto wesentlich flächensparender, eine entsprechende Umverteilung erhöht also notwendigerweise die (theoretische) Leistungsfähigkeit der Straße.

Sie befürchten, dass die Umwandlung von Autospuren zu Fahrradwegen zum Verkehrskollaps und unerträglichen Staus führen wird. Dazu fragen wir Sie zum einen: Sind Sie etwa mit der heutigen Situation zufrieden? Und zum anderen: Welche Lösung schlagen Sie vor, um die Verkehrssituation zu verbessern und Mobilität für alle Bürger:innen zu garantieren? Die letzten 50 Jahre zeigen deutlich, dass der Ausbau der Auto-Infrastruktur das Problem nicht löst! „Induzierter Verkehr“ ist ein wissenschaftlich gut dokumentiertes Phänomen: zusätzlich geschaffene Kapazität wird fast sofort durch zusätzliche Fahrten aufgebraucht. Das heißt, wenn mehr Straßen gebaut werden, fahren auch mehr Menschen mit dem Auto. Der Stau wird dadurch nicht weniger. Umgekehrt gilt das Gleiche: wenn die Kapazität der Straße für den Autoverkehr reduziert wird, dann fahren auch weniger Menschen mit dem Auto. Gleichzeitig werden die zusätzlich gebauten, sicheren und durchgängigen Radwege auch mehr Menschen aufs Fahrrad locken.

Ihre Sorgen, dass durch den Wegfall von Autospuren in Frankfurt endgültig ein Verkehrskollaps entsteht, sind unbegründet. Nach einer kurzen Umgewöhnungsphase an den einzelnen umgestalteten Straßen wird sich der Verkehr einpendeln und fließen. Und gleichzeitig gibt es mehr Platz für sichere Radwege, weniger Lärm und Abgase, mehr Platz für Straßenbäume und Sitzbänke (und Außengastronomie).

Mythos 2: Weniger Parkplätze bedeuten weniger Umsatz.

Es herrscht der Irrglaube, dass der Wegfall von Parkplätzen in unmittelbarer Nähe dazu führen würde, dass die Umsätze im Einzelhandel sinken würden. Doch das Gegenteil ist der Fall. Ein spektakulärer aktueller Fall: Über Weihnachten 2018 hat die Stadt Madrid ihr Stadtzentrum komplett für Autos gesperrt. Im betroffenen Bereich sind die Einzelhandelsumsätze im Vergleich zum Vorjahr um 9,5 % höher ausgefallen! Das gleiche Muster findet sich in verschiedenen Städten, in unterschiedlichen Kontexten, wieder und wieder: eine strukturierte Radverkehrsförderung sorgt für steigende Umsätze im Einzelhandel! Generell geben Fußgänger:innen und Radfahrer:innen zwar weniger pro Einkauf aus, dafür gehen sie aber im Durchschnitt öfter einkaufen als Autofahrer:innen.

Besonders bezeichnend finden wir eine Studie aus Dublin: Befragte Geschäftstreibende überschätzten konsequent den Anteil ihrer Kunden, die mit dem Auto anreisen, und unterschätzten konsequent den Anteil der Radnutzer:innen. Wir bestreiten nicht, dass ein signifikanter Anteil der Kunden momentan mit dem Auto anreist; aber auch das kann (und wird) sich ändern – und der Einzelhandel allgemein und Gastronomiebetriebe speziell profitieren auch von einer erhöhten Aufenthaltsqualität.

Mythos 3: Radverkehr und Wirtschaftsverkehr sind Feinde.

Sie haben Angst, dass eine Förderung des Radverkehrs Ihnen den Platz für Handwerker:innen, für Logistik-, Liefer- und anderen Wirtschaftsverkehr nimmt. Aber das Gegenteil ist unser Ziel. Das Problem in Frankfurt (und anderen autodominierten Städten) ist, dass viele Strecken mit dem Auto zurückgelegt werden, die auch hervorragend anders bewältigt werden können. Diese unnötigen Autofahrten belasten die Straßen und blockieren Parkplätze. Und genau diese Fahrten fallen weg, wenn Platz für den Radverkehr umgewidmet wird – weil Menschen dann ihr Verhalten ändern.

So wird Platz auf der Straße frei für die Menschen und die Fahrzeuge, die ihn wirklich brauchen, wie z.B. Handwerker:innen und Logistikdienstleister. Es ist in ihrem Sinne, so viele Anreize wie möglich für das Rad zu schaffen, um die Menschen zum Umsteigen zu bringen. In einer Neuplanung von Straßen für bessere Radwege müssen auch die Bedürfnisse der anliegenden Geschäfte berücksichtigt werden. Dazu gehört auf jeden Fall auch die Einrichtung von Lade- und Logistikzonen. Durch diese exklusive Flächenwidmung müssen Handwerker:innen und Logistikfahrzeuge nicht mehr wild, in zweiter Reihe oder eben auf dem Radweg parken, sondern können sich darauf verlassen, dass am Zielort auch ein für sie vorgesehener Platz vorhanden ist. Bei entsprechender Planung können diese Zonen ohne Probleme wunderbar mit guten Radwegen koexistieren.

Fazit
In vielen Städten verläuft die Diskussion nach dem gleichen Muster: erst wird laut gegen eine Umgestaltung protestiert, nach langer Diskussionsphase wird diese schließlich umgesetzt und hinterher freuen sich alle Beteiligten und niemand wünscht sich mehr den Ursprungszustand zurück, der vorher noch als unveränderbar galt. Wir kennen diese Diskussion in Frankfurt zum Beispiel von der Sperrung der Hauptwache. In Wien wird gerade über die Einrichtung sogenannter „Begegnungszonen“ diskutiert, in denen KFZ-, Rad-, und Fußverkehr auf einer Fläche abgewickelt werden – mit gegenseitiger Rücksichtnahme funktioniert es dort. Anfangs hat sich die Wiener Wirtschaftskammer gegen die Umgestaltung ausgesprochen; jetzt, 4 Jahre nach der ersten Maßnahme, hat sie ihre Meinung geändert und fordert mehr Begegnungszonen: weil dort die Aufenthaltsqualität höher ist und insbesondere auch, weil dort die Umsätze steigen.

Die Einigung zwischen der Stadt Frankfurt und dem Radentscheid ist ein Meilenstein für die Mobilitätsplanung in der Mainmetropole. Wir laden Sie herzlich ein, mit uns ins Gespräch zu kommen; auf einer von uns organisierten Veranstaltung, in einem Gespräch in kleiner Runde, oder in einem anderen Kontext. Wir wollen mit Ihnen gemeinsam die Zukunft unserer Stadt gestalten. Wir glauben, dass Rad- und Wirtschaftsverkehr gute Partner sind, um Frankfurt zu einer lebenswerten und attraktiven Stadt zu machen. Und das wollen Sie doch auch, oder nicht?